Im Kampf um die Kunden muss das Unternehmen darauf achten, dass – zumindest langfristig – jeder Kunde profitabel ist oder wird. Damit stellt sich die Frage, wie die Profitabilität gemessen werden soll. Zu seiner Messung wird häufig das Konzept des Kundenwertes –
Customer Lifetime Value (CLV) – empfohlen. Die Notwendigkeit der Ermittlung des CLV hat sich in der BWL leider noch nicht vollständig durchgesetzt.
Auch in der neuesten (28.) Auflage des Wöhe geht es fast nur um
Kundengewinnung, aber kaum um die Frage, ob sich die
Investitionen in einen Kunden lohnen. Denn auf einige Kunden sollte das Unternehmen lieber verzichten. Die Gründe können im finanziellen und nicht-finanziellen Bereich liegen. Mit dem CLV-Konzept können die folgenden
Fragestellungen analysiert werden:
- Welche Nicht-Kunden sind so attraktiv, dass sie gewonnen werden sollten.
- Welche aktuellen Kunden sind so wertvoll, dass man sie halten soll.
- Welche existierenden Kunden sind derart uninteressant, dass man ihren Verlust riskieren kann, wenn weniger investiert wird
Basis für
gute Entscheidungen über den
Ressourceneinsatz für alle 3 Fragestellungen ist die korrekte Ermittlung der insb. finanziellen Folgen je Kunde, wenn eine bestimmte
Bearbeitungsstrategie gewählt wird.
Die
Attraktivität der aktuellen und potentiellen Kunden muss somit korrekt ermittelt werden. Neben Modellen der eher kurzfristigen
Deckungsbeitragsrechnung gewinnen langfristige Konzepte auf Basis der
Investitionsrechnung an Bedeutung. Mit ihnen wird der erwartete Wert der Kunden zum heutigen Zeitpunkt ermittelt, was dadurch geschieht, dass alle zukünftigen Ein- und Auszahlungen, welche auf den Kunden zurückzuführen sind, erfasst werden.
Dazu gehört auch die
Kosten des Einsatzes
interner Ressourcen wie z. B. der Vertriebsstunden Im nächsten Schritt werden alle Zahlungen auf den heutigen Zeitpunkt abgezinst. In der Investitionsrechnung wird dieser Vorgang
Barwertbildung genannt. Diese zukunftsorientierte Betrachtung steht im Mittelpunkt. Zusätzlich zu der direkten finanziellen Analyse müssen teilweise weitere Aspekte berücksichtigt werde.
Es geht um die Frage, ob die
Kundenbeziehung noch weitere Vorteile (aber auch Nachteile) bringt. Ggf. muss sich das Unternehmen von schwachen Kunden trennen. (vgl. zu diesem Ansatz Hoberg (2008), S. 320 ff.). In diesem Beitrag steht aber die
finanzielle Analyse der Kundenbeziehung für ein Unternehmen (Value of the Customer) im Vordergrund. Weitere Aspekte werden in einem Folgebeitrag diskutiert.
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Grundlagen Kundenwert / Customer Lifetime Value (CLV)
Die Analyse der
Kundenvorteilhaftigkeit basiert auf der Ermittlung des Kundenwertes, also einer Größe, die zeigt, für wie wertvoll die
Geschäftsbeziehungen mit dem Kunden für die Zielerreichung des Unternehmens gehalten wird. Der Kundenwert sollte für alle Kunden regelmäßig ermittelt werden. Hinsichtlich des Kundenwertes können
drei zeitliche Perspektiven unterschieden werden:
- Kundenwert in der Vergangenheit (retrospektiv)
- Kundenwert in der aktuellen Periode
- Kundenwert in der Zukunft (prospektiv).
Mit dem
retrospektiven Kundenwert kann jährlich überprüft werden, ob sich die Maßnahmen des Unternehmens gelohnt haben. Eventuell müssen Korrekturmaßnahmen eingeleitet werden. Der aktuelle Wert zeigt den Beitrag, den der Kunde in der laufenden Periode bringt. Wichtiger ist aber der
zukünftige Kundenwert, da über ihn noch entschieden werden kann. Allgemein wird unter Kundenwert (Value of the Customer) die Summe aller auf einen einheitlichen Zeitpunkt bezogenen Beiträge verstanden, die durch und für den Kunden ausgelöst wurden. Dabei stehen die monetarisierbaren Beiträge im Vordergrund.
Die Erwähnung des
einheitlichen Vergleichszeitpunkts ist wichtig, weil ansonsten die einzelnen Beiträge nicht saldiert werden dürfen. Besonders relevant aus Entscheidungssicht ist der zukünftige Kundenwert, der die Summe aller zukünftigen, monetarisierten und auf den heutigen Zeitpunkt abgezinsten Beiträge darstellt, die durch und für den Kunden verursacht werden. Formelmäßig beträgt der finanzielle Teil des prospektiven Kundenwertes:
|
|
tn
|
|
|
|
CLV0
|
=
|
Σ
|
(EZt – AZt)
|
×
|
q-t
|
|
|
t = 0
|
|
|
|
CLV0
|
Customer Lifetime Value (Kundenwert) zum Zeitpunkt t=0
|
EZt
|
Erwartete Einzahlungen vom Kunden im Zeitpunkt t
|
AZt
|
Erwartete Auszahlungen für den Kunden im Zeitpunkt t
|
t
|
Zeitindex mit t = 0, ..., tn
|
tn
|
Letztes Element im Zeitindex t
|
q
|
Zinsfaktor (1+i), mit i als Jahreszinssatz (Wacc)
|
Die Ein- und Auszahlungen beziehen sich jeweils auf das Ende einer Periode. Da in der Realität die Zahlungen über das Jahr verteilt anfallen, setzen die
Jahresendgrößen voraus, dass in einem vorgelagerten Schritt alle Zahlungen durch
Verzinsung auf die jeweiligen Periodenenden bezogen wurden, was intraperiodische Verzinsung genannt wird (vgl. z. B. Varnholt/Hoberg/Wilms/ Lebefromm, S. 32 ff. oder Hoberg (2010), S. 412 ff.).
Die erste Auszahlung AZ
0 umfasst häufig die
Anfangsinvestitionen für die Kundengewinnung, wenn über diese noch nicht entschieden wurde. Im Weiteren ist zu unterscheiden, ob die Kalkulation für einen
- Bestandskunden
- einen potentiellen Neukunden oder für einen
- Ex-Kunden
durchgeführt werden soll.
Dazu sind bei den
Bestandskunden noch Intensivierungsstrategien denkbar. Die dann eventuell höheren
Einzahlungsüberschüsse müssen barwertmäßig die zusätzlichen Auszahlungen für die Intensivierung übersteigen. Für einen Bestandskunden sind ansonsten die Akquisitionsauszahlungen nicht mehr relevant. Es handelt sich dann um Sunk Cost, die nicht mehr beeinflussbar sind (vgl. dazu Hoberg (2018b), S. 1 ff.).
Damit wird die relevante Kalkulation um die Anfangsauszahlungen entlastet, so dass diese
Kundengruppe c. p. günstiger wird. Dies entspricht auch der Erfahrung, dass es viel günstiger ist, einen Kunden zu halten, als einen neuen zu gewinnen.
Die Berechnung des Kundenwertes
Die Berechnung des Kundenwertes lehnt sich eng an die
Kapitalwertberechnung der Investitionsrechnung an (vgl. hierzu Varnholt/Hoberg/ Wilms/Lebefromm, S. 59 ff.). Alle Zahlungen müssen auf einen einheitlichen Vergleichszeitpunkt bezogen werden, damit sie verrechnet werden können. Üblicherweise wird der Startzeitpunkt t = 0 gewählt. Es könnte auch ein anderer Zeitpunkt gewählt werden. Aber z. B. der Endwert kommt eher nicht infrage, weil es sehr lang laufende
Handlungsmöglichkeiten gibt und weil der aktuelle Zeitpunkt … Das folgende einfache Beispiel möge die Vorgehensweise zeigen:
Abb. 1: Zeitliches Modell zur Erfassung der Kundenwert-Zahlungen
Zur Vereinfachung wird zunächst angenommen, dass die Kundenbeziehung nur 4 Jahre dauert. Somit sind alle Zahlungen dieser 4 Jahre zu erfassen und auf den Startzeitpunkt t = 0 abzuzinsen, was das folgende
Ergebnis liefert:
|
Wacc (KZF) effektiv
|
10 %
|
|
|
|
|
|
Zeitpunkt t =
|
0
|
1
|
2
|
3
|
4
|
Saldo
|
Zeile
|
Einheit
|
T€0
|
T€1
|
T€2
|
T€3
|
T€4
|
|
1
|
AZ für Kundengewinnung
|
–1.000
|
|
|
|
|
|
2
|
Laufende Zahlungsüberschüsse
|
|
200
|
300
|
400
|
300
|
|
3
|
Gesamte Zahlungsüberschüsse
|
–1.000
|
200
|
300
|
400
|
300
|
200
|
4
|
Zinsfaktor
|
1,000
|
1,100
|
1,210
|
1,331
|
1,464
|
|
5
|
Überschuss diskontiert
|
–1.000
|
182
|
248
|
301
|
205
|
–65
|
Abb. 2: Ermittlung des Kundenwertes für 4 Jahre
Die Zahlungen beginnen mit der Auszahlung in t = 0 für die Kundengewinnung (Zeile 1). Die tatsächlichen Zahlungen werden fast nie genau in t = 0 anfallen, so dass die Annahme gilt, dass sie bereits auf diesen Zeitpunkt
intraperiodisch auf- bzw. abgezinst wurden. Darauf folgend gibt es
laufende Zahlungsüberschüsse in Zeile 2 der Abb. 2, die in diesem Fall sofort positiv sind.
Es kann allerdings durchaus sein, dass zunächst noch negative Überschüsse z. B. in t = 1 anfallen, weil beispielsweise die Auszahlungen für den Kunden sehr hoch sind, da ihm sehr niedrige Einführungspreise zugesagt wurden usw. Die resultierenden Gesamtüberschüsse in Zeile 3 werden im nächsten Schritt durch die jeweiligen Zinsfaktoren dividiert, wobei ein kalkulatorischer Zinssatz (Wacc) von 10% unterstellt wurde.
Zeile 5 zeigt dann die jeweiligen Barwerte, wobei für t=1 gilt: 200 T€
1 / 1,1 = 182 T€
0. Die erweitert geschriebenen Einheiten – wie hier T€
0 - tragen zur höheren
Präzision einen
Zeitindex (vgl. zu dieser erweiterten Schreibweise Hoberg (2018a), S. 468 ff.). Die parallele Abzinsung erfolgt auch für die anderen Überschüsse, so dass die jeweiligen Barwerte resultieren.
Diese werden in der
letzten Spalte aufgezinst. Mit einer Barwertsumme von –65 T€
0 wäre die Investition in diesen Kunden nicht sinnvoll. Entweder muss auf diesen Kunden verzichtet werden oder der Plan muss verbessert werden. In diesem Fall kann auch untersucht werden, ob die Effekte nach t = 4 ggf. zu einem Wechsel führen. Diese Frage wird im Folgebeitrag beantwortet.
Sunk Cost
Wenn die Anfangsauszahlungen in falscher Einschätzung der Vorteilhaftigkeit bereits geleistet wurden und damit sunk wurden (vgl. zu den sunk cost Hoberg (2018b), S. 1 ff.), dann sieht die Situation anders aus, weil die Kalkulation ohne die
Anfangsauszahlung durchgeführt werden muss. Der Kunde ist dann solange zu halten, wie die die Barwertsummen der laufenden Überschüsse positiv sind.
Schlussfolgerung
Die Ermittlung des Kundenwertes in der Form des
Customer Lifetime Value (CLV) erfolgt über die zeitlich richtige Erfassung aller Zahlungen, die für oder durch den Kunden ausgelöst werden. Mit der der anschließenden Abzinsung auf den Startzeitpunkt kann ermittelt werden, ob die Bearbeitung eines Kunden sinnvoll ist.
In einem zweiten Beitrag zum Kundenwert wird demnächst ein ausführlicheres
Zahlenbeispiel vorgestellt, das auch über die Analyse von 4 Jahren hinausgeht. Auch die Integration
qualitativer Faktoren wird vorgestellt. Zudem muss der Einfluss von Engpässen analysiert werden.
Literaturverzeichnis
-
Eggert, A.: Die zwei Perspektiven des Kundenwertes: Darstellung und Versuch einer Integration, in: Günter, B., Helm, S. (Hrsg.), Kundenwert – Grundlagen – Innovative Konzepte – Praktische Umsetzungen, 3. Aufl., Düsseldorf 2006, S. 43-59.
- Hoberg, P. (2004): Wertorientierung: Kapitalkosten im internen Rechnungswesen - Die Einführung von Bezugszeitpunkt in die Kosten- und Leistungsrechnung, in: ZfCM 2004, S. 271-279.
- Hoberg, P. (2008): Management schwacher Kunden, in: Zeitschrift für Controlling und Management, 52. Jg., 10/2008, S. 320-325.
- Hoberg, P.: (2010), Investitionsrechnung: Korrekte Datenermittlung und –aufbe-reitung bei intraperiodischen Verzinsungen, in WiSt 8/2010; S. 412-415.
- Hoberg, P. (2018a): Einheiten in der Investitionsrechnung, in: Wisu, 47. Jg., 4/2018, S. 468-474.
- Hoberg, P. (2018b): Sunk Cost im Entscheidungsprozess, in: https://www.controllingportal.de/Fachinfo/Investitionsrechnung/Sunk-Cost-im-Entscheidungsprozess.htm..., letztes Update 30.5.2018.
- Hoberg, P. (2019): Customer Lifetime Value - Wie man ihn nicht bestimmt, in: Controlling-Magazin, 1/2019, S. 69-74. Mengen, A., Mettler, A.: Kundenwertermittlung – wie viel Vertrieb ist uns der Kunde wert?, in: ZfCM 1/2008, S. 30-36.
- Varnholt, N., Hoberg, P., Wilms, S., Lebefromm, U.: Investitionsmanagement - Betriebswirtschaftliche Grundlagen und Umsetzung mit SAP®S/4HANA, Berlin/Boston 2023.
- Wöhe, G., Döring, U., Brösel, U.: Einführung in die allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 28. überarbeitete und aktualisierte Auflage, München 2023.
letzte Änderung P.D.P.H.
am 19.02.2024
Autor:
Prof. Dr. Peter Hoberg
Bild:
Bildagentur PantherMedia / Jirsak
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Autor:in
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Herr Prof. Dr. Peter Hoberg
Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Worms. Seine Lehrschwerpunkte sind Kosten- und Leistungsrechnung, Investitionsrechnung, Entscheidungstheorie, Produktions- und Kostentheorie und Controlling. Prof. Hoberg schreibt auf Controlling-Portal.de regelmäßig Fachartikel, vor allem zu Kosten- und Leistungsrechnung sowie zu Investitionsrechnung.
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