In der Kultur ist das
Misstrauen gegenüber
Controllern groß, meint der Intendant der Südwestdeutschen Philharmonie in Konstanz, Beat Fehlmann. Der Schweizer hat im Orchesterbetrieb ein
Controlling verankert, das im
Kulturbereich als vorbildlich gilt. Über den Job eines Controllers bei einem Orchester sprach er mit Controlling-Journal.
Herr Fehlmann, Sie haben Komposition studiert und dirigieren selbst. Parallel haben Sie eine akademische Wirtschaftsausbildung. Sehen Sie sich eher als Manager oder als Musiker?
Beat Fehlmann: Die Grenzen haben sich inzwischen eher aufgelöst. Aber durch meine Tätigkeit bin ich doch eher Manager. Aber die musikalische Erfahrung hat mich geprägt. Das bleibt.
Braucht ein Controller im Kulturbereich einen musischen oder künstlerischen Hintergrund, um von den Kulturschaffenden akzeptiert zu werden? Wie sieht das bei Ihren Mitarbeitern aus?
Fehlmann: Ich glaube, dass das sehr hilft. Mir hilft es sehr, dass ich die Welten wechseln kann, dass ich auch inhaltlich argumentieren kann. Ein Spezifikum unseres Betriebs ist, dass nicht nur die
Zahlen gut sein müssen. Was immer das auch heißt. Wir bekommen einen erheblichen Zuschuss, um Werte zu schaffen, die vor allem inhaltlicher Natur sind. Eine Diskussion die unseren Kernauftrag wie ich ihn verstehe ausklammert, ist schwierig für die Akzeptanz in einem Haus. Wenn man zwischen diesen beiden Welten Brücken bauen kann, hilft das tatsächlich. In unseren
Jahresberichten vermittelt sich auch der Blick des Musikers. Wir versuchen ein Controlling zu etablieren, das nicht nur Einnahmen und Ausgaben im Blick behält, sondern das den Betrieb als Ganzes begreift. Wir wollen darstellen, was wir mit dem Geld erreichen. Das wäre nicht möglich ohne musikalisches Wissen. In unserem Fall ist die Kenntnis beider Welten eigentlich fast unabdingbar. Aber ich glaube nicht, dass das absolut gilt.
Das heißt, Controller können sich ihr musisches Wissen auch im Job aneignen?
Fehlmann: Ich glaube, das ist möglich.
Was bedeutet das aber für die Akzeptanz im Haus?
Fehlmann: Natürlich hilft da musikalisches Vorwissen. Das gilt insbesondere bei der Einführung eines Controllings, wo man oft ganz besonders kämpfen muss. In der künstlerischen Welt beschäftigt man sich nicht gern mit Zahlen. Auch wenn Musik eigentlich sehr mathematisch ist.
Marketing und Controlling findet man ein bisschen suspekt. Das ist nach wie vor so. Da hilft es, wenn mein Gegenüber begreift: Ah, der spricht ja auch meine Sprache.
Welchen Ängsten und Vorbehalten sind Sie als Intendant der Südwestdeutschen Philharmonie selbst begegnet?
Fehlmann: Ein ganz zentraler Punkt ist die Angst in der künstlerischen Welt vor einem Quotendenken. Wenn man Prozesse durchleuchtet, fürchten die Künstler, dass man danach von ihnen fordert, dass sie nur noch Inhalte anbieten, die voraussichtlich ein sehr breites Publikum ansprechen. Dass man das Repertoire einschränkt. Im Kern geht es um die Angst vor einer rein kommerziellen Ausrichtung.
Dem sind Sie in Ihren Jahresberichten begegnet, indem Sie die Pflege des musikalischen Erbes in seiner ganzen Breite zu einem Wirkungsziel erklärt haben. Aber stehen Sie als Manager da nicht auch zwischen dem künstlerischen Bereich und den Anforderungen des Trägers, in Ihrem Fall der Stadt Konstanz? Kommt da nicht eher die Forderung, dass die Kasse stimmt?
Fehlmann: Davor ist natürlich niemand gefeit. Ich habe durch die Wirkungsziele ja versucht, den Auftrag des Trägers, so wie ich ihn verstehe, klarzumachen und ihn auch zu diskutieren. Die Politik steht natürlich vor der Frage: Warum sollen wir so viel Geld für ein Orchester ausgeben? Sie muss sich fragen, ob sie allein auf Effizienz achten will, oder ob die
Fördermittel nicht auch stark in unserem Kulturverständnis verankert sind. Darin, dass wir gewisse Dinge erhalten und pflegen wollen und eben nicht unter rein gewinnoptimierten Gesichtspunkten betrachten wollen. Mit den Zielen will ich zeigen, wofür wir die Mittel einsetzen, und dass wir das effizient tun. Effizienz ist dann mehr als eine möglichst hohe Gewinnspanne oder ein möglichst kleiner Verlust – in unserem Fall.
In welcher wirtschaftlichen Lage haben Sie die Südwestdeutsche Philharmonie 2013 übernommen?
Fehlmann: Das Orchester hatte 600.000 Euro Verlust erwirtschaftet. Das ist für einen Betrieb mit einem
Gesamtbudget von 6 Millionen Euro nicht unerheblich. Wenn eine Gehsteigsanierung mal 600.000 Euro teurer ausfällt als geplant, kräht kein Hahn danach. Aber wenn ein Orchester solche Zahlen vorlegt, dann entsteht eine öffentliche Debatte, die hier auch sehr heftig geführt wurde. Sogar über Schließungsabsichten hat man lautstark diskutiert. Mir ging es darum, zunächst die Zahlen in den Griff zu bekommen, den Betrieb im Blick auf das finanzielle Resultat zu optimieren. Es ging aber auch darum, ein Controlling als
Frühwarnsystem zu entwickeln. Das hat vorher gefehlt.
Salopp gesagt, war man bis zum Doppelstrich unter der Buchhaltung von einem positiven Ergebnis von 30.000 Euro ausgegangen und hat viel zu spät gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Das hat zu einer schwierigen Situation geführt, die ich unter dem Begriff
Vertrauensverlust zusammenfassen würde. Mir war es wichtig, ein System zu entwickeln, das mir die Sicherheit gibt, das Boot steuern zu können und zu wissen, wohin es fährt. Auf der anderen Seite wollten wir nicht nur die Zahlen verbessern, sondern auch die Zahlengrundlage, um wieder Vertrauen zu schaffen. Das ist uns glaube ich gelungen. Ein Jahr nach dem Antritt meiner Stelle konnten wir einen
Schuldenschnitt machen.
Haben Sie das Controlling nach einem Masterplan im Hauruckverfahren auf neue Füße gestellt, oder sind Sie nach dem Prinzip von Trial und Error vorgegangen?
Fehlmann: Das Letztere trifft es eher. Natürlich haben wir uns anfangs zusammengesetzt und nach den steuerungsrelevanten Größen gesucht: Was müssen wir wirklich beobachten und was nicht? Das war aber schon eher ein prozesshafter Weg. Wir klauen natürlich rechts und links des Weges und versuchen zu lernen. Aber es gibt für das Controlling in unserem Bereich kein pfannenfertiges Gericht. Natürlich gibt es Literatur und Erfahrungen, aber ein detailliertes passendes Konzept gab es nicht. Wir haben Anregungen aus der Literatur aufgegriffen und für unsere Bedürfnisse übersetzt.
Wo sehen Sie die wichtigsten Unterschiede zum Controlling in einem Wirtschaftsunternehmen?
Fehlmann: Das Gewinnstreben eines Wirtschaftsunternehmens ist für uns ja nicht das Thema. Ich kriege Anfang des Jahres einen Haufen Geld, und den trage ich ab. Im Idealfall ist am Ende des Geldes auch das Jahr zu Ende. Wenn das auseinanderklafft, dann habe ich ein Problem. Ein großer Teil der wirtschaftlichen Denkweise steht bei uns gar nicht im Vordergrund.
Welche drei Ratschläge würden Sie einem Controller mitgeben, der eine Stelle bei einer etablierten Kultureinrichtung antritt?
Fehlmann: Ein Interesse oder sogar eine Liebe zum Inhalt ist wichtig. Im Kulturbereich arbeiten viele Menschen intrinsisch motiviert. Ich stelle mir das Verhältnis abstrus vor, wenn man in einer Kultureinrichtung arbeitet und dazu keine Beziehung hat. Für den zweiten Punkt muss ich etwas ausholen: Viele heute als bedeutend anerkannte Komponisten sind in ihrer Zeit oft durchgefallen, waren erfolglos. Man braucht in der Musik eine große Vorsicht mit dem momentanen Urteil. Man muss auch bereit sein, ins Neue, ins Unbekannte aufzubrechen. Die Suche nach einem neuen Ausdruck gehört zu Musik und Kunst. Ein Verständnis dafür ist wichtig.
Sie spielen beispielsweise auf die Zeitgenössische Musik an.
Fehlmann: Ja. Und auf die Suche nach neuen Formaten. Das ist nie abgesichert, und davor darf man keine Angst haben. Ich fände es gut, wenn man sich fragt: Wie tickt eigentlich ein Künstler? Da hilft das Lesen von Biografien.
Dritter Punkt:
Kommunikation ist im Kulturbetrieb noch wichtiger als in einem Unternehmen. Man steht unter einem großen Rechtfertigungsdruck. Gegenüber den Künstlern oder der künstlerischen Leitung. Die meisten Häuser werden von einer Doppelspitze geleitet. Es gibt eine kaufmännische Leitung und die Intendanz, die vor allem für das Künstlerische zuständig ist. Dass sich beides vereint wie bei uns, ist eher die Ausnahme. Aus der Doppelspitze entsteht der klassische Grabenkampf, dass man dem künstlerischen Bereich klarmachen muss, dass man sich die Zahlen ansehen und daraus lernen muss, damit man nicht vor die Wand fährt. Der Controller muss immer wieder Erklärungen liefern und für die eigene Sache werben.
Die Fragen stellte Wolff von Rechenberg
Beat Fehlmann hat ein umfangreiches Musikstudium mit Abschlüssen in den Fächern Klarinette, Dirigieren und Komposition absolviert. Bereits seit seinem 18. Lebensjahr ist der Schweizer Beat Fehlmann als Leiter von verschiedenen Orchestern tätig. 1998 war er Assistent von Heinz Holliger beim Collegium Novum Zürich, seither wird er regelmäßig von anderen Ensembles zu Gastdirigaten eingeladen.
Als Komponist erhielt er für sein Orchesterwerk "mosaïque" den Komponistenpreis des Göttinger Symphonie Orchesters. In Zusammenarbeit mit dem Künstlerhaus Boswil hat er das Projekt "Young Composers Project" initiiert. Als Klarinettist verfolgte er überwiegend Projekte mit experimentellem Charakter.
Seit nunmehr zwölf Jahren konzentriert er sich auf administrative Tätigkeiten. Wichtig für diese Entwicklung war eine Weiterbildung zum Executive Master in Arts Administration an der Universität Zürich und ein Master of Laws im Bereich "Internationales Wirtschaftsrecht" an der German Graduate School in Karlsruhe. Nach Stationen bei der Kammerphilharmonie Graubünden und der Philharmonie der Nationen, arbeitet Beat Fehlmann seit September 2013 als Intendant für die Südwestdeutsche Philharmonie Konstanz.
Download des vollständigen Beitrages:
Controlling mit Blick des Musikers
letzte Änderung W.V.R.
am 26.08.2022
Autor:
Wolff von Rechenberg
Bild:
Südwestdeutsche Philharmonie Konstanz
|
Autor:in
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