1. Ausgangssituation
Das Thema Angebotskalkulation ist ein Dauerbrenner unter den betriebswirtschaftlichen Themen. Es gibt nicht den richtigen oder falschen Ansatz, viele Methoden existieren, ergänzen sich gegenseitig mehr oder weniger oder haben auch eine ganz unterschiedliche Konzeption. In Industriebetrieben mit Einzel- und Serienfertigung findet nach wie vor die Zuschlagskalkulation Anwendung. Es sind zwar mittlerweile die Schwächen dieser Art von Berechnung hinreichend bekannt, es gibt aber keine erfolgversprechenden anderen Ansätze bzw. Programme dazu.
Ein seit Jahren bestehender Trend zu einem höheren Automatisierungsgrad mit verbundenem Rückgang von Fertigungslöhnen führt dazu, daß die maschinenabhängigen Kosten steigen und damit die Fertigungslöhne als Zuschlagsbasis zur Berechnung der Fertigungsgemeinkosten ihre Bedeutung verlieren bzw. sogar zu falschen Ergebnissen führen. Zuschlagssätze von mehreren Hundert Prozent sind keine Seltenheit. Hinzu kommt die Tatsache, daß die durchlaufenden Produkte die Maschinen und Anlagen eines Kostenstellenbereiches zeitlich unterschiedlich belasten und zudem oft ein unterschiedliches Kostengefüge zwischen den einzelnen Maschinen besteht.
Ein einheitlicher Zuschlagssatz einer Kostenstelle wird diesen Umständen nicht mehr gerecht. Des weiteren gibt ein Zuschlagssatz nur unzureichend Auskunft über die Kostenzusammensetzung und liefert daher keinen Beitrag zur Transparenz der Kalkulationsdaten. Auch die Verfahren der differenzierenden Zuschlagskalkulation weisen zwei Problemkreise auf: Zum einen fordern sie eine korrekte Einteilung der Kostenarten und eine entsprechende zweckmäßige Strukturierung der Kostenstellen im Betrieb, zum anderen müssen geeignete aber nicht zu zahlreiche Verteilungsschlüssel angelegt werden.
Zusammengefaßt bestehen folgende Probleme bei Verwendung der Zuschlagskalkulation:
- Hoher Aufwand der Erstellung
- Einzelkosten werden zunehmend durch Gemeinkosten verdrängt, kleine Fehler bei der Ermittlung der Einzelkosten haben große Auswirkung auf die Gemeinkosten
- Alle Verfahren der Zuschlagskalkulation haben den großen Nachteil, daß bei jeder Änderung der Bezugsgröße (Materialpreis-, Lohn-, Sachkostenänderung) eine neue Ermittlung der Gemeinkostenzuschläge erforderlich wird. Mal nachgefragt: Wer führt dies in der Praxis wirklich durch?
- Zudem besteht wenig Transparenz in Bezug auf Zusammensetzung und Höhe der enthaltenen Kosten in den Zuschlagssummen
Während meiner 25-jährigen Tätigkeit als Controller in mittelständischen Industriebetrieben bin ich immer wieder auf diese Probleme gestoßen. Zudem wurde oft moniert, daß das starre und unflexible Handling, vor allem für den Mittelstand, ein weiterer großer Nachteil ist. Generell gilt, daß Schnelligkeit und Transparenz beim Kalkulationseinsatz wichtiger sind, als die Nachkommastellen eines Zuschlagssatzes zu ermitteln und hinterfragen. Zu sehen, welche Kosten in welcher Höhe den Angebotspreis bestimmen, das sind die bohrenden Fragen.
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2. Ein neuer Ansatz
Diese Unzulänglichkeiten waren für mich der Anlaß, den Prozess einer Teile-Angebotskalkulation grundsätzlich neu zu überdenken, und dabei folgende Punkte bei der Konzipierung in den Mittelpunkt zu rücken:
- Ein Einfaches, aber nachvollziehbares Kalkulationssystem zu entwickeln
- Kostenbelastungen auf zu kalkulierende Artikel erfolgen über Verrechnungssätze, keine Verwendung von Zuschlagssätzen (mit Ausnahme der MGK)
- Die Produktionszeit eines Artikels ist die signifikante Größe
- Gesamte Aufbauorganisation des Unternehmens sowie artikelspezifische Daten sind transparent einsehbar
- Auswirkungen von Kostenänderungen sind sofort in der Kalkulation sichtbar
- Eine Anlage von mehreren Kalkulationsversionen muß möglich sein, z. B. für Planungsszenarien
- Eine Umsatz- und Deckungsbeitragsplanung ist integriert
- Wesentliche Daten einer Businessplanung werden ausgewiesen
- Eine Maschinen-Kapazitätsplanung sowie eine Materialmengen-Bedarfsplanung gehören auch dazu.
Zudem müssen intuitive Bedienung, Anwenderfreundlichkeit sowie hohe Datenqualität ein Programm auszeichnen.
3. Vorgehen im einzelnen
Folgende Struktur weist idealerweise der Kalkulationsaufbau auf:
Die neue Grundidee besteht nun darin, auf Zuschlagssätze, außer den Materialgemeinkosten, ganz zu verzichten, und die Kostenbelastung auf das Produkt über im Vorfeld berechnete Minuten-Verrechnungssätze vorzunehmen entsprechend der oben angegebenen Struktur. Der Zeitanteil eines Produktes beim jeweiligen Prozessdurchlauf stellt dabei die signifikante Größe dar, wie oben schon erwähnt. Selbstverständlich müssen dazu Arbeitsplandaten vorliegen. Es werden keine Umlagen gebildet, alle Gemeinkosten werden direkt aus den Kostenstellen mittels eines Minuten-Verrechnungssatzes geholt. Im Ausweis einer Artikel-Kalkulation ist dann, neben den Einzelkosten, klar strukturiert ersichtlich, welche Kostenstellen und Maschinen mit welchen Zeiten und Kostensätzen das Produkt belasten.
Zur Erfassung der Personal- und Sachkosten liegen separate Blätter vor. Dadurch erfolgt die Datenerhebung zielgerichtet und nachvollziehbar. Diese Art der Kostenerhebung verlangt große Erfahrung, um Wesentliches vom Unwesentlichen zu unterscheiden und professionell die Datenerhebung zu gestalten. So werden z. B. die Kosten für evtl. Miete der Gebäude sowie die Heizkosten auch auf diese Art und Weise ermittelt und der Kalkulation in den entsprechenden Bereichen zugeführt.
4. Resumee
Der gesamte Aufbau der Kalkulation ist von großer Transparenz geprägt. Das ist der größte Vorteil dieser Konzeption. Es können sowohl die Datenherkunft als auch die Auswirkung auf die Kalkulation schnell überprüft bzw. eingesehen werden. Den Zeitverbrauch eines Artikels während des Prozessdurchlaufes als wesentliche Größe in den Mittelpunkt zu rücken ist mindestens genauso nachvollziehbar wie etwa die Höhe von Fertigungslöhnen oder Herstellkosten, die üblicherweise als Basis zur Bildung von Zuschlagssätzen herangezogen werden.
Die Möglichkeit, auf Basis der Einzelkalkulationen eine Umsatz- und Deckungsbeitragsplanung vorzunehmen erhöht den Wirkungsgrad des Systems beträchtlich. Auch der Forderung von vielen Qualitätsystemen, wie TS 16949, die eine Maschinen-Kapazitätsplanung verlangen, muß Genüge geleistet sein. Zudem muß auch eine Materialmengen-Bedarfsplanung integriert seint, so daß ein Programm vielen Wünschen gerecht wird.
letzte Änderung E.R. am 05.09.2019
Autor(en):
Werner Jungnickl
Bild:
Werner Jungnickl
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