Es war wieder soweit. Nach einer anstrengenden Woche trafen sich die erfolgreichen Unternehmer der Kleinstadt wieder im örtlichen Golfclub, weniger des Sportes wegen, sondern hauptsächlich, um unter sich zu sein. Sie saßen im gemütlichen Kaminzimmer und wurden von Ihrer Lieblingskellnerin Pauline bedient. Sie war BWL-Studentin und freute sich schon immer auf die Unternehmerrunde.
Neben den großzügigen Trinkgeldern gab es häufig amüsante Streitgespräche, im Laufe derer die Unternehmer ihr Praxisferne vorwarfen, sie aber häufig mit neuen betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen ganz frisch aus der Vorlesung für Verblüffung sorgen konnte. Dies war für die erfolgsgewohnten Unternehmer nicht ganz unwichtig, denn als Patriarchen der alten Schule gab es in ihren Unternehmen keine ausgeprägte Diskussionskultur. Viele ihrer Mitarbeiter hatten sich damit abgefunden, dass der Chef immer Recht hatte und wagten kaum noch, auf Probleme hinzuweisen. Auch deswegen war der Golfclub nützlich, denn von Kollegen konnte man ja Ratschläge (und natürlich Aufträge) annehmen.
Der Ablauf der munteren Runde startete immer gleich. Nachdem jeder unaufgefordert sein Lieblingsgetränk erhalten hatte, wurde gefragt: „Nun, Paulinchen, was hast Du denn diese Woche Besonderes an der Hochschule gelernt?“ Meist wurde noch ein Studentenwitz angehängt (schön, dass Du uns zuliebe schon um 15 Uhr aufgestanden bist).
Nach dem erbärmlichen
Erlöschen der Ampel in Berlin wurde zunächst auch in der edlen Runde über die Gründe spekuliert.
Stefan Steuer, der Chefcontroller eines großen Markenartikelunternehmens, startete die Diskussion: „Die Leute im Lande merken, dass der Haushalt auf Sand gebaut ist. Wenn schon das Bundesverfassungsgericht der Regierung auf die Finger hauen musste, damit die Verfassung eingehalten wird, kann das nicht zur Zufriedenheit führen.“ Und mit einem Blick auf Andreas Ampel, dem letzten Fan der Regierung, führte er weiter aus: „Die Einnahmen des Staates sind auf Rekordhöhe, und er kommt trotzdem nicht mit dem Geld aus.“
Andreas Ampel wagte eine Replik: „Aber dafür haben wir einen riesigen Sozialetat beim Arbeitsminister Hubertus Heil, so dass keiner zurückbleiben muss.“
Carlo Controletti, der Wirtschaftsprüfer, war nicht amused: „Das ist ja eines der Probleme. Die Anreize, nicht zu arbeiten, werden immer größer. Selbst bei Personen aus dem Mittelstand kann es in Großstädten Fälle geben, in denen Familien mit 5000 € Monatseinkommen kaum besser dastehen als Bürgergeldempfänger. Und über die florierende Schwarzarbeit muss ich ja wohl nicht reden. In der Berliner Regierungsblase können sich wohl die meisten Entscheidungsträger nicht vorstellen, wie das Leben der Bevölkerung aussieht. Der Realitätsverlust ist schlimm. Da braucht man sich über die dauernden Fehlentscheidungen nicht zu wundern.“
Bernhard Brumm, der Spediteur, versuchte es mit Sarkasmus: „Eigentlich ist es schade, dass die Ampel am Ende ist.“ Die Anwesenden schauten ihn entgeistert an, so dass er fortfuhr: „Wie Dieter Nuhr im ARD richtig feststellte, hat Deutschland 3 Jahre in die Ausbildung der Minister investiert und jetzt, wo sie allererste Kenntnisse besitzen, werden sie abgelöst….“
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Alle lachten, aber
Dieter Durchblick, der Wirtschaftsredakteur, war etwas genervt, weil das Staatsversagen ja überall – und auch in dieser Runde – schon häufig aufgedeckt wurde: „Lassen wir uns lieber über den Realitätsverlust vieler Manager und Unternehmenslenker reden. Denn dort gibt es häufig auch solche Realitätsverluste.“
Viele in der Runde, die gerade über die ihrer Meinung nach viel zu hohen Steuern und Abgaben schimpfen wollten, wurden plötzlich ruhig, weil sie nicht wussten, ob Dieter Durchblick nicht auch sie meinte. Man wusste bei ihm ja nie….
Aber Dieter Durchblick fing vorsichtig an und fragte
Pauline, wo sie sich in letzter Zeit über die schlechte Leistung von Unternehmen gewundert habe. Ihr fielen gleich einige Beispiele ein: „Wir sind in eine WG gezogen und mussten dafür einen WLAN-Router installieren. Unsere Hausadresse war aber aus unerfindlichen Gründen nicht in der Datenbank vorhanden. Wir haben Tage gebraucht, um jemanden ans Telefon zu bekommen. Und der wusste natürlich nicht Bescheid. Er versprach einen Rückruf, der nie kam…“
Mit dieser Telekommunikationskritik rannte Pauline offene Türen ein. Jeder der Anwesenden schimpfte insb. über die Mobilfunkanbieter, welche die Kunden bei Problemen allein ließen.
David Durst, der Getränkehändler, brachte das Problem auf den Punkt: „Ich möchte wissen, wie viele Top-Manager mal bei ihrer eigenen Hotline angerufen haben. Dann würden sie die Unzufriedenheit der Kunden verstehen. Ihre einzige Rettung ist, dass die Konkurrenz auch nicht viel besser ist.“
Stefan Steuer bestätigte den Realitätsverlust in großen Unternehmen: „Viele sind damit zufrieden, wenn die Anzahl der Reklamationen unter einem bestimmten Wert fällt. Was das für den einzelnen Verbraucher bedeutet, interessiert keinen. Die Realität des täglichen Geschäfts wird ausgesperrt. Wir haben eine Regel einführen müssen, dass jeder ab einer bestimmten Position 1x pro Woche in einen Supermarkt zum Einkaufen gehen muss, damit er versteht, was am Point of Sale überhaupt passiert. Allein die zahlreiche Konkurrenz zu sehen, ist sehr lehrreich. Kleinere Unternehmen leiden weniger unter Realitätsverlust, weil der Chef meistens permanent in Kundenkontakt steht.“
Beim Stichwort Hotline platzte
Kurt Kappe, dem Hersteller von Flaschenverschlüssen aller Art, fast vor Wut: „Ich brauchte einen Termin in einer Gemeinschaftsarztpraxis. Keiner geht ans Telefon, es wird aufs Internet verwiesen. Das habe ich gemacht. Ich musste mein Problem auswählen. Aber ich habe mein Problem nicht gefunden und es gab auch kein „Sonstiges“. Somit konnte ich nicht weitermachen. Als ich das Problem in der Praxis erwähnte, wurde mir gesagt, dass das bekannt sei…“
Bernhard Birkenstock, der Besitzer einer Biomarktkette, konnte ihm wenig Hoffnung machen: „Das wird sich so schnell nicht ändern, da wir großen Ärztemangel haben. Du kannst nur zu einer Einzelpraxis gehen, bei welcher der Chef dafür sorgt, dass alles läuft.“
Er wurde dann gefragt, wie er in seiner Biomarktkette sicherstellt, dass die Kunden adäquat bedient werden. Er antwortete: „Die Auswahl der Filialleiter ist extrem wichtig. Sie müssen für das Bio-Konzept brennen. Davon gibt es zum Glück einige. Aber mein Problem ist dann, dass sie häufig nicht viel von der betriebswirtschaftlichen Seite verstehen. Die Realität dann roter Zahlen ist auch nicht schön.“
Willi Watt, der Chef des örtlichen Energieversorgers, wies auf die Markteinführung der E-Autos bei VW hin: „Beim VW ID-3 kam es häufig zu Softwareabstürzen, so dass der Fahrer nicht mehr wusste, wie groß die Restreichweite noch war. Zudem konnten einige Funktionen nicht genutzt werden. Ich verstehe nicht, wie das VW-Management so unfertige Autos verkaufen konnte. Hat die vorher keiner gefahren?“
„Mein lieber Willi, Du solltest vor dem Schimpfen erst mal Deinen eigenen Laden in Ordnung bringen!“ forderte
Stefan Weihen, der Besitzer einer Molkerei: „Ich habe neulich einem guten Mitarbeiter geholfen, der nur wenig Deutsch spricht. Ihm sollte der Strom abgestellt werden. Es ging natürlich niemand an Dein „Sorgentelefon“. Ich musste einen Termin beantragen, den ich erst 3 Tage später erhalten habe. Es stellte sich heraus, dass Deine Mitarbeiter eine Ziffer in der Kontonummer nicht richtig gelesen hatten. Und anstatt kurz anzurufen, um die richtige Kontonummer zu erhalten, haben sie gemahnt. Das hat mein Mitarbeiter nicht verstanden, weil er ja die Einzugsermächtigung gegeben hatte. Und er hat dann aufgegeben, als er im Sorgentelefon auch nicht durchkam. Ruf doch selbst dort mal an!“
Willi Watt war entsetzt und beschämt, nahm das aber dankbar auf und gab souverän zu: „Das Thema des Realitätsverlustes ist also auch für mich viel wichtiger als gedacht.“
Auch andere Teilnehmer der Runde mussten sich eingestehen, dass sie diesem Aspekt nur wenig Rechnung getragen hatten.
Nun wandte sich
Dieter Durchblick an Torsten Tausendfach, den Besitzer des örtlichen Kaufhauses: „Torsten, wann warst Du zum letzten Mal inkognito in Deinem Laden?“
Torsten Tausendfach wurde rot und gab zu, dass das schon einige Zeit her war. „Hatte ich mir gedacht“ war die Antwort von Dieter Durchblick: “Ich musste mich nämlich letzte Woche über unmotivierte Mitarbeiter in Deinem Laden ärgern, die weiterschwätzten, obwohl Kunden Fragen hatten.
Nun war wieder
Pauline dran: „Ich ärgere mich noch über ein weiteres Unternehmen. Für meinen geplanten Auslandsaufenthalt lerne ich mit einer App Spanisch.“
Sofort erhob sich Protest: „Du willst uns hier doch wohl nicht allein lassen….“ Pauline lächelte geschmeichelt und fuhr fort: „Da ich schon gute Kenntnisse habe, sind mir sofort einige Fehler aufgefallen, welche ich umgehend der Hotline gemeldet habe. Es kam aber keine Antwort. Erst nach der dritten Mahnung kam eine ausweichende E-Mail, man müsse das noch prüfen. Bei der Akquise hingegen wurden meine Fragen sofort beantwortet…“
Carlo Controletti war fassungslos: „Da bekommt das Unternehmen auf dem Silbertablett die Möglichkeit, sich zu verbessern und anstatt sich zu bedanken wirst Du als Störfaktor betrachtet. Dabei können gerade kritische Kunden viel zur Weiterentwicklung beitragen. Aber einige Unternehmen geben lieber viel Geld für Marktforschung aus, wobei sie dann nur abstrakte Zahlen serviert bekommen. Von einem unzufriedenen Kunden kann man jedoch sehr viel lernen.“
Stefan Steuer erweiterte die Sichtweise: „Noch komplizierter wird es, wenn wir an die Zukunft denken. Zur Realität von morgen gehört auch, dass sie aus einem der heute möglichen Szenarien entsteht. Einige sind absehbar, andere weniger. Insbesondere Szenarien mit hohen Verlustrisiken müssen berücksichtigt werden, was leider nicht selbstverständlich ist. Denn es gibt Unternehmen, die haben noch nicht einmal wahrscheinliche Risiken berücksichtigt. So hat die Bayer AG sich zum Kauf von Monsanto entschieden, obwohl die Risiken bekannt waren. Auch deswegen hat Bayer in den letzten 9 Jahren 100 Mrd. € an Börsenkapitalisierung verloren.
Noch schlimmer war und ist die deutsche Regierung, welche für das EEG glaubt, 20 Jahre in die Zukunft schauen zu können. Denn so lange werden die Einspeisevergütungen garantiert. Grund war wohl schon damals, dass man die Belastungen möglichst weit in die Zukunft schieben wollte….“
Bernhard Brumm, der Spediteur, konnte auch von einem Unternehmensversagen berichten: „Einer meiner Renault-Lieferwagen ist ohne Vorwarnung auf offener Strecke liegen geblieben. Zum Glück war das nicht auf der Autobahn, sondern kurz vor einer Bushaltestelle. Es stellte sich heraus, dass die Benzinpumpe ausgefallen war. Er musste abgeschleppt werden. Es war wohl eine Kabelverbindung nicht in Ordnung. Im Internet kann man von mehreren solchen Fällen lesen. Ich beschwerte mich bei Renault, die aber trotz meiner Internet-Nachweise abstritten, ein solches Problem zu haben. Auf die gefährliche Situation gingen sie erst gar nicht ein. Auch keine Entschuldigung. Außerdem könne man in der Warenwirtschaft nicht nachprüfen, ob die notwendigen Ersatzteile häufig gebraucht würden… Ein Rückruf, um weitere gefährliche Spontanausfälle zu vermeiden, wurde abgelehnt. Die Reparatur kostete über 1000 €, brachte aber zumindest die Erkenntnis, wo ich nicht mehr kaufe. Und da wundern sich die Manager von Renault über Absatzprobleme…“
Dieter Durchblick fasste zusammen: „Es ist nicht so, dass wir von der Realität umzingelt sind wie Wirtschaftsminister Habeck beklagte. Sie ist nicht feindlich. Aber wir müssen die Realität akzeptieren wie sie ist bzw. wie sie kommen könnte und uns darauf einstellen.
Das einzig Tröstliche ist, dass Unternehmen, die sich der Realität verweigern, früher oder später aus dem Markt ausscheiden. Das gilt nicht für Unternehmen im Staatsbesitz, weil sie – wie die Bahn – immer wieder vom Steuerzahler gerettet werden. Der Steuerzahler zahlt auch für die Realitätsverweigerungen durch die Regierung (z. B. E-Autos stoßen kein CO2 aus, ungesteuerte Einwanderung, fehlende Lösungen für Dunkelflauten, verspäteter Netzausbau, tief rote Sozialkassen, steigende Arbeitslosigkeit usw.). Die Realitätsverweigerung heute führt zu hohen Mehrkosten in der Zukunft.“
Auf dem Nachhauseweg nahmen sich die Teilnehmer vor, gleich zu Beginn der neuen Woche einmal inkognito bei ihrer Hotline anzurufen bzw. im Ladengeschäft vorbeizuschauen. Und auch die Beschwerden wollten sie sich genauer ansehen….
letzte Änderung P.D.P.H.
am 18.11.2024
Autor:
Prof. Dr. Peter Hoberg
Bild:
Bildagentur PantherMedia / focuspocusltd
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Autor:in
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Herr Prof. Dr. Peter Hoberg
Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Worms. Seine Lehrschwerpunkte sind Kosten- und Leistungsrechnung, Investitionsrechnung, Entscheidungstheorie, Produktions- und Kostentheorie und Controlling. Prof. Hoberg schreibt auf Controlling-Portal.de regelmäßig Fachartikel, vor allem zu Kosten- und Leistungsrechnung sowie zu Investitionsrechnung.
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