Es war wieder soweit. Nach einer anstrengenden Woche trafen sich die erfolgreichen Unternehmer der Kleinstadt wieder im örtlichen Golfclub, weniger des Sportes wegen, sondern hauptsächlich, um unter sich zu sein. Sie saßen im gemütlichen Kaminzimmer und wurden von Ihrer Lieblingskellnerin Pauline bedient. Sie war BWL-Studentin und freute sich schon immer auf die Unternehmerrunde. Neben den großzügigen Trinkgeldern gab es häufig amüsante Streitgespräche, im Laufe derer die Unternehmer ihr Praxisferne vorwarfen, sie aber häufig mit neuen betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen ganz frisch aus der Vorlesung für Verblüffung sorgen konnte. Dies war für die erfolgsgewohnten Unternehmer nicht ganz unwichtig, denn als Patriarchen der alten Schule gab es in ihren Unternehmen keine ausgeprägte Diskussionskultur. Viele ihrer Mitarbeiter hatten sich damit abgefunden, dass der Chef immer Recht hatte und wagten kaum noch, auf Probleme hinzuweisen. Auch deswegen war der Golfclub nützlich, denn von Kollegen konnte man ja Ratschläge (und natürlich Aufträge) annehmen.
Der Ablauf der munteren Runde startete immer gleich. Nachdem jeder unaufgefordert sein Lieblingsgetränk erhalten hatte, wurde gefragt: "Nun, Paulinchen, was hast Du denn diese Woche Besonderes an der Hochschule gelernt?" Meist wurde noch ein Studentenwitz angehängt (schön, dass Du uns zuliebe schon um 15 Uhr aufgestanden bist).
Anlässlich der Wahl hatten alle Parteien ihre "genialen" Lösungsvorschläge u. a. auch für den Wohnungsmangel präsentiert und insb. die Linke hatte damit bei jungen Menschen sehr stark punkten können.
Andreas Ampel, der letzte Fan der verblichenen Ampel-Regierung, sagte stolz: "Immerhin gibt es immer mehr Mietpreisbremsen. Das sollte Deutschland helfen." Die Runde konnte über diese naive Aussage nur stöhnen.
Bauunternehmer Kasimir Keller, der sich vom Lehrling zum Besitzer hochgearbeitet hatte, übernahm die Antwort: "Ganz kurzfristig – also leider bis zu den nächsten Wahlen - mag das beim Wahlvolk helfen. Aber schau mal in mein Auftragsbuch. Niemand will mehr bauen, was zugegebenermaßen nicht nur an der Mietpreisbremse liegt, sondern auch an den wahnsinnigen Vorschriften, welche die Kosten in die Höhe treiben. Selbst wenn es heute jemand über die vielen Hürden schaffen würde, eine Mietwohnung zu bauen, müsste er damit rechnen, dass die notwendige Miete nach kurzer Zeit wegen der Mietpreisbremsen gekappt wird."
Andreas Ampel wollte kontern: "Aber Neubauten sind doch ausgenommen."
Dieter Durchblick, der Wirtschaftsredakteur antwortete: "Das stimmt so nicht; ihre Höhe darf nur nicht höher als 10% über den Werten des Mietspiegels liegen. Und selbst das hilft nicht viel." Er wandte sich an Pauline: "Weißt Du warum das so ist?"
Pauline war im Bilde: "Bei der nächsten Vermietung ist es kein Neubau mehr."
Kasimir Keller nickte anerkennend: "Ja, so ist es. Unter diesen Umständen ist es kaum verwunderlich, dass kaum jemand mehr bauen wird. Auch die Industriebauten brechen wegen der zahlreichen Standortprobleme ein. Wenn ich überleben will, muss ich das Geschäft total umstellen. Es gibt jetzt fast nur noch Sanierungen."
Stefan Steuer, der Chefcontroller eines großen Markenartiklers, wies auf einen anderen Aspekt hin: "Das, was Ihr sagt, stimmt zwar, ist aber schon seit langem bekannt. Desaströs sind die Folgen in einem anderen Bereich. Der Wohnungsmangel wirkt sich noch viel gravierender aus, weil damit die dringend notwendige Mobilität gefährdet wird. Jemand, der eine gute Stelle antreten will und dafür umziehen muss, wird sich das sehr genau überlegen, weil er kaum eine ähnlich günstige Wohnung findet."
Pauline bestätigte: "Das gilt auch für Studenten und Azubis. Ich war vor einiger Zeit in München, weil es dort einen interessanten Studiengang gibt. Aber es ist aussichtslos, dort einen WG-Platz zu bekommen, den ich bezahlen kann."
Bernhard Brumm, der Spediteur, ergänzte: "Und dass Familien dann nach einem Umzug keinen KiTa-Platz bekommen, vergrößert das Chaos. Wie soll ich noch Fahrer bekommen? Man braucht sich also nicht zu wundern, dass das Wort "Wachstum" in Deutschland ein Fremdwort geworden ist."
Dieter Durchblick "widersprach" grimmig: "Das stimmt nicht. Wir haben in vielen Fällen Wachstum." Als er - wie erwartet - die fragenden Gesichter in der Runde sah, führte er aus: "Die Anzahl der Arbeitslosen und die der Insolvenzen sind "überraschend" gestiegen und das sehr schnell."
Jetzt verstand die Runde und nach kurzem Zögern machten alle beim Spiel mit, traurige Beispiele für Wachstum in Deutschland zu finden.
Kurt Kappe, der Hersteller von Verschlüssen, fing an: "Gewachsen ist insb. die Anzahl von Mitarbeitern in den Ministerien. Auch die Anzahl der Verbeamtungen ohne Probezeit – was es ja gar nicht geben dürfte – ist auf Rekordniveau."
Willi Watt, der Chef des örtlichen Energieversorgers, führte aus: "Beim Anstieg der Strompreise sind wir Spitze, und das obwohl die EEG-Umlage zulasten der Steuerzahler herausgenommen wurde. Dabei kommen die großen neuen Sprünge durch die extremen Netzausbaukosten erst noch auf uns zu."
Jetzt war
Ludwig Luxus, der Besitzer eines 5 Sterne Hotels, an der Reihe: "Immerhin ist Deutschland wieder Europameister in der Braunkohleverstromung, leider die dreckigste Form der Stromerzeugung."
Willi Watt übernahm den nächsten Vorwurf: "Die Anzahl der Netzeingriffe wuchs in den letzten Jahren dramatisch. Was früher eine Ausnahme war, ist jetzt permanentes Brandlöschen, um einen Blackout zu verhindern. Dazu stieg die Anzahl der Stunden mit negativem Strompreis in 2024 auf ein neues Rekordniveau. Es waren über 450."
Carlo Controletti, der Wirtschaftsprüfer, bemerkte: "Der Chef der Techniker-Krankenkasse sieht "Wachstum bei der Unterdeckung der Gesundheitskosten“. Und was mich besonders betrübt, ist das Wachstum von Messerangriffen und Anschlägen."
Stefan Weihen, der Besitzer einer Molkerei gab zu bedenken: "Die Sozialabgaben sind für Arbeitnehmer und Arbeitgeber drastisch gestiegen, wobei die Unterdeckung für die Babyboomer noch nicht einmal diskutiert wird. Hier müsste es eigentlich riesige Rücklagen geben."
Bernhard Birkenstock, der Leiter der Biomarktkette, hatte noch andere Sorgen: "Was auch wächst, sind die Wartezeiten bei den Ärzten. Und das ist erst der Anfang, weil sehr viele demnächst in Rente gehen werden."
Beendet wurde die traurige Aufzählung durch
Dieter Durchblick: "Jetzt ist aber Schluss. Es stimmt zwar, dass fast nur negative Dinge in Deutschland wachsen. Wir sollten aber lieber überlegen, wie wir den Karren aus dem Dreck ziehen können und die Germanosklerose überwinden können. Nach Ende der Ampelregierung bestehen ja Chancen auf einen Neuanfang. Wer will beginnen?"
Stefan Steuer war bereit: "Der erste Schritt wäre meiner Meinung nach, den Bürgern reinen Wein einzuschenken. Probleme mit Geld zuzuschütten, wie es die Ampel, aber auch Frau Merkel vorher gemacht hat und jetzt auch die große Koalition plant, geht nicht mehr lange gut. Die riesigen Verpflichtungen in den Sozialsystemen rollen wie eine Lawine auf Deutschland zu. Und die marode Bundeswehr braucht auch viel mehr Mittel, insb. dann, wenn die USA sich zurückziehen."
Dieter Durchblick unterbrach und fokussierte die Beiträge: "Das ist alles richtig, aber lasst uns bei der Wohnungswirtschaft bleiben, sonst sitzen wir noch morgen hier." Die Runde nickte zustimmend und
Kasimir Keller startete: "Als erstes muss die Mietpreisbremse weg, damit Investoren nicht auf ihren Kosten sitzen bleiben. Wir haben ja schon den Missbrauchsparagraph, mit dem gegen Mietwucher vorgegangen werden kann. Denn den gibt es ja leider in einigen Fällen."
Alle nickten und
Bernhard Birkenstock schlug vor: "Die Bauvorschriften müssen entrümpelt werden. Bauherren werden freiwillig gut gedämmt bauen, weil das die Heizkosten senkt."
Lukas Löser, Chef einer Energieberatung bestätigte: "Manchmal ist weniger mehr, wenn man an die überproportional steigenden Kosten und die Schimmelgefahr denkt."
Carlo Controletti, der Wirtschaftsprüfer, führte aus: Die Nebenkosten beim Kauf sind viel zu hoch. Auch das ist Schuld der Politik. Sie ist vor den Maklern in die Knie gegangen, als sie den Maklern erlaubte, auch vom Käufer noch Provision zu nehmen. Dazu kommen die hohen Sätze für die Grunderwerbssteuer. Und bei den Notaren gibt es kaum Konkurrenz. Als Konsequenz müssen die Käufer bis zu 15% des Kaufpreises bezahlen, so dass sie die ersten Jahre zunächst die Nebenkosten bezahlen müssen (vgl. zur Berechnung Hoberg (2017), S. 74 ff.), bevor sie mit der eigentlichen Tilgung beginnen können.
Zacharias Zaster, der Zweigstellenleiter Bank, schaltete sich jetzt ein: „Schnellere Genehmigungen würden auch helfen, was sich auch auf die Umnutzungen bezieht, wenn also Bürogebäude in Apartmenthäuser verwandelt werden sollen.“
Lukas Löser forderte: "Neue Firmensitze und Produktionsorte sollten hauptsächlich in strukturschwachen Gebiete gebaut werden. In diesem Punkt sind auch wir gefordert, schon aus Eigennutz. Wer noch im Münchener, Berliner oder Frankfurter Großraum investiert, dem ist nicht mehr zu helfen."
Bernhard Birkenstock sah noch einen weiteren Ansatzpunkt: "Behörden und Universitäten dürfen nur noch da (aus)gebaut werden, wo genügend Wohnraum zur Verfügung steht."
Stefan Steuer fasste zusammen: "Das sind viele gute Vorschläge. Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Umsetzung viele Jahre in Anspruch nehmen wird. Aber das Umsteuern muss endlich beginnen. Und vor allen Dingen sollte sich der Staat heraushalten. Seine Maßnahmen führen – selbst bei guter Absicht – häufig zu Chaos und vielen Mitnahmeeffekten. Dabei werden die Kosten in "bewährter" Manier auf die nächsten Generationen verlagert."
Dieter Durchblick: „Das stimmt, wobei ich aber eine Ausnahme machen würde. Schnellere Abschreibungen könnten weiterhin unterstützen, weil Steuersparen für die Deutschen magisch klingt, wobei es ja eigentlich nur ein Steuerverschieben ist, den Staat also mittelfristig nicht viel kostet.
An diesem Abend gingen die Teilnehmer nachdenklich nach Hause. Sie wollten die Pläne der neuen Regierung abwarten, um dann ggf. Häuser zu bauen. Einige dachten allerdings auch an den Verkauf ihrer Mietwohnungen.
Literaturempfehlungen
- Hoberg, P. (2017): Verhängnisvolle Wirkung von Kaufnebenkosten einer Immobilie, in: Betriebswirtschaft im Blickpunkt 3/2017, S. 74-77.
- Hoberg, P. (2014): Neue degressive Abschreibung für vermietete Wohngebäude ab 2024 – lohnenswert? in: Betriebswirtschaft im Blickpunkt 1/2024, S. 6-12.
letzte Änderung P.D.P.H.
am 10.03.2025
Autor:
Prof. Dr. Peter Hoberg
Bild:
Bildagentur PantherMedia / Ai825
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Autor:in
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Herr Prof. Dr. Peter Hoberg
Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Worms. Seine Lehrschwerpunkte sind Kosten- und Leistungsrechnung, Investitionsrechnung, Entscheidungstheorie, Produktions- und Kostentheorie und Controlling. Prof. Hoberg schreibt auf Controlling-Portal.de regelmäßig Fachartikel, vor allem zu Kosten- und Leistungsrechnung sowie zu Investitionsrechnung.
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