Öffentlicher Dienst: Tarifverhandlungen mit Nullnummer

Dr. Peter Hoberg
7,5 Prozent mehr Lohn bei 30 Monaten Laufzeit für die 2,3 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von Bund und Kommunen: Mit diesem Ergebnis endeten Mitte April 2018 die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst. Der Chef der Dienstleistungesgewerkschaft Ver.di, Frank Bsirske lobt den Tarifabschluss verhalten als den "besten Abschluss seit Jahren". Aber wie gut ist der Abschluss wirklich? Dr. Peter Hoberg, Professor an der Hochschule Worms hat nachgerechnet. Hier sein Ergebnis:

Wie fast immer gab es zur Vorbereitung der Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst Warnstreiks und markige Forderungen. Die Gewerkschaften forderten 6 Prozent, was die Arbeitgeber natürlich als zu hoch zurückgewiesen haben. Das Ergebnis war dann einigermaßen verblüffend, weil insgesamt eine Lohnsteigerung von 7,5 Prozent über die gesamte Laufzeit vereinbart wurde. Aber diese Laufzeit beträgt natürlich nicht 12 Monate, sondern 30 Monate. Die folgenden Teilschritte wurden am 17.4. 2018 präsentiert:

OeffDienst01.jpg


Weil man sich nicht rechtzeitig geeinigt hatte, musste der Startzeitpunkt des neuen Tarifvertrages auf den 1.3.2018 zurückdatiert werden, was in den Abteilungen, die sich mit der Lohnabrechnung beschäftigen, sicher viel Freude ausgelöst haben dürfte. Durch die "krumme Laufzeit" stellt sich die Frage, wie hoch die durchschnittliche Lohnerhöhung für den Standardzeitraum - 1 Jahr - ist. Erst dann kann mit anderen Abschlüssen verglichen werden. Das korrekte Ergebnis erhält man wie folgt:

OeffDienst02.jpg

Es muss berücksichtigt werden, dass sich die Erhöhungen 2 und 3 nicht auf den Anfangszustand zu Beginn des Vertrages beziehen, sondern jeweils auf die neuen Löhne und Gehälter. Es entsteht somit eine Art kleiner Zinseszinseffekt. Am Ende der 30 Monate liegt das Niveau um 1,0751 – 1 = 7,51 Prozent höher. Gefragt aber ist der durchschnittliche jährliche Erhöhungssatz ESj, der sich aus der folgenden Formel ergibt:
(1 + ESj)(30/12) = 1,0751
Durch Auflösung dieser Aufzinsungsgleichung erhält man den durchschnittlichen jährlichen Erhöhungssatz zu 2,937 Prozent. Erst dieser jährliche Anstieg lässt sich mit anderen Erhöhungen vergleichen. Damit liegt der öffentliche Dienst nicht schlecht, aber auch nicht so überragend wie es teilweise in der Öffentlichkeit angekommen ist. Im Spiegel Cartoon vom 21.4.18 bekamen die Mitarbeiter der Müllabfuhr Rolex Reklame auf Ihre Smartphones.

Die Bruttolohnerhöhung sagt aber noch nicht, was die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes mit nach Hause nehmen können und - noch wichtiger -, wie sich ihr Lebensstandard verbessert. Für diese Analyse sind 2 Schritte notwendig. Zunächst muss untersucht werden, wie sich die Nettogehälter entwickeln werden. Hier lauert eine unangenehme Überraschung, welche stille Progression genannt wird.

Denn der Staat bezahlt zwar durchschnittlich 2,937 Prozent p.a. mehr, kassiert aber gleich einen großen Anteil über Sozialabgaben und Steuern wieder ein. Und die zusätzlichen Bruttogehälter unterliegen einem höheren Grenzsteuersatz (progressives Steuersystem) als das alte Gehalt. Damit wächst das Nettogehalt deutlich langsamer an. Die Kindergärtnerin, welche ca. 75 € pro Monat mehr an Brutto erhalten wird, muss ca. die Hälfte des Zuwachses gleich wieder an den Staat abgeben (dass dadurch minimal höhere Rentenanspräche entstehen, wird sie nur wenig trösten). Die Grenzabgabenquote umfasst die Wirkungen von:
  • Steuern,
  • Solidaritätsabgabe,
  • ev. Kirchensteuer,
  • Rentenversicherung, 
  • Arbeitslosenversicherung
  • Pflegeversicherung
  • Krankenversicherung

Die Grenzabgabenquote kann bis 60 Prozent betragen, wobei höhere Einkommen weniger stark belastet werden, sobald keine oder weniger Beiträge zu den Arbeitnehmer- Sozialversicherungen mehr zu zahlen sind. Statt der Bruttoerhöhung von 2,937 Prozent p.a. kommen netto nur ca. 2,3 Prozent p.a. beim Steuerpflichtigen an. Unnötig zu sagen, dass für den Staat die Einnahmen schneller als mit 2,937 Prozent p.a. wachsen werden…

Leider ist der Leidensweg der Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes an dieser Stelle noch nicht beendet. Denn entscheidend ist die Kaufkraft, die sie gewinnen. Diese nimmt aber durch die Inflation ab. Unterstellt man einen Satz von 2 Prozent p.a., so steigt die Kaufkraft nur noch um ca. 0,3 Prozent p.a. (genau um 0,294 %). Also fast eine Nullnummer, wenn es um die entscheidende Frage geht, ob sich die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes mehr leisten können. Und diejenigen, die aus privaten oder beruflichen Gründen umziehen müssen, werden sogar häufig Kaufkrafteinbußen erleiden, weil sie bei Neuanmietungen sehr viel höhere Mieten bezahlen müssen.




letzte Änderung W.V.R. am 08.11.2021
Autor:  Dr. Peter Hoberg
Bild:  panthermedia.net / Wolfgang Filser

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